Achtung: es wird was längeres

(Wens interessiert und wem der Text zu lange ist, kann die Zusammenfassung am Ende lesen)
Ich habe etwas weiter recherchiert und bin – zumindest für mich – zu einem klaren Ergebnis gekommen.
Wie pifolog schon eingangs dieser Diskussion geschrieben hat, ist das Wort „Wohnsitz“ in diesem Zusammenhang irrelevant, da es sich um einen Begriff des dt. Meldewesens handelt. Dieses bleibt bei der Besteuerung von Einkommen unbeachtet.
Es gibt genau 3 Dokumente, die mit dieser Fragestellung zu tun haben:
A) das allseits bekannte Doppelbesteuerungsabkommen zwischen Deutschland und Frankreich (DBA):
http://archiv.jura.uni-saarland.de/BIJUS/doppelsteuer/de.htmB) das OSCD-Musterabkommen Stand 2008 (es gibt ein Update 2014, es war mir aber nicht möglich, eine kostenlose Quelle für die deutsche Version zu finden; ich konnte aber auch keine Änderung in diesem Update finden, welche für die Fragestellung relevant wäre)
http://www.huttegger.de/fachhochschule/OECD-Musterabkommen-2008.pdfC) ein Schreiben/eine Anweisung des Bundesfinanzministeriums zum OSCD-MA:
http://www.bundesfinanzministerium.de/Content/DE/Downloads/BMF_Schreiben/Internationales_Steuerrecht/Allgemeine_Informationen/2014-11-12-steuerliche-behandlung-arbeitslohn-doppelbesteuerungsabkommen.pdf?__blob=publicationFile&v=1Das DBA regelt die Besteuerung von Grenzgängern in Art. 13 (1), (4) und (6):
Artikel 13
(1) Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit können vorbehaltlich der Vorschriften der nachstehenden Absätze nur in dem Vertragstaate besteuert werden, in dem die persönliche Tätigkeit, aus der die Einkünfte herrühren, ausgeübt wird. Als Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit gelten insbesondere Gehälter, Besoldungen, Löhne, Gratifikationen oder sonstige Bezüge sowie alle ähnlichen Vorteile, die von anderen als den in Artikel 14 bezeichneten Personen gezahlt oder gewährt werden.
(4) (Zusatzabkommen vom 28.9.1989) «Ungeachtet des Absatzes 1 können Vergütungen, die eine in einem Vertragsstaat ansässige Person für eine im anderen Vertragsstaat ausgeübte unselbständige Arbeit bezieht, nur im erstgenannten Staat besteuert werden, wenn
1. der Empfänger sich im anderen Staat insgesamt nicht länger als 183 Tage während des betreffenden Steuerjahrs aufhält und
2. die Vergütungen von einem Arbeitgeber oder für einen Arbeitgeber gezahlt werden, der nicht im anderen Staat ansässig ist, und
3. die Vergütungen nicht von einer Betriebstätte oder einer festen Einrichtung getragen werden, die der Arbeitgeber im anderen Staat hat.»
(5)(Zusatzabkommen vom 28.9.1989) «
a. Abweichend von den Absätzen 1, 3 und 4 können Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit von Personen, die im Grenzgebiet eines Vertragsstaats arbeiten und ihre ständige Wohnstätte, zu der sie in der Regel jeden Tag zurückkehren, im Grenzgebiet des anderen Vertragsstaats haben, nur in diesem anderen Staat besteuert werden;
b. das Grenzgebiet jedes Vertragsstaats umfaßt die Gemeinden, deren Gebiet ganz oder teilweise höchstens 20 km von der Grenze entfernt liegt;
c. die Regelung nach Buchstabe a gilt auch für alle Personen, die ihre ständige Wohnstätte in den französischen Grenzdepartements haben und in deutschen Gemeinden arbeiten, deren Gebiet ganz oder teilweise höchstens 30 km von der Grenze entfernt liegt.»
(6) (Zusatzabkommen vom 28.9.1989) «Ungeachtet der Absätze 1 bis 4 können Vergütungen, die ein in einem Vertragsstaat ansässiger Arbeitnehmer auf Grund einer unselbständigen Arbeit erhält, die er im anderen Vertragsstaat im Rahmen eines Vertrags mit einem Arbeitnehmerverleiher ausübt, im anderen Staat besteuert werden. Diese Vergütungen können auch in dem Staat besteuert werden, in dem der Arbeitnehmer ansässig ist. Die Vertragsstaaten können die Zahlung der auf diese Vergütungen entfallenden Steuer nach Maßgabe ihres innerstaatlichen Rechts vom Verleiher oder vom Entleiher verlangen oder sie dafür haftbar machen.»
Hierin fallen die wichtigen Begriffe „Wohnstätte“ und „Ansässigkeit“. Bei einer alleiniger Wohnstätte in Frankreich ist die Ansässigkeit klar, man ist in Frankreich ansässig.
Interessant wird es nun, wenn jemand einen weitere Wohnstätte innehat, wobei es prinzipiell egal ist, wo diese Wohnstätte ist (in Deutschland oder einen weitere in Frankreich außerhalb der Grenzzone). Wo ist man nun im steuerlichen Sinne dann ansässig?
Hier hilft ein Blick ins OSCD-Musterabkommen, den Art. 4 (1) und (2):
Art. 4 Ansässige Person.
(1) Im Sinne dieses Abkommens bedeutet der Ausdruck „eine in einem Vertragsstaat ansässige Person“ eine Person, die nach dem Recht dieses Staates dort auf Grund ihres Wohnsitzes, ihres ständigen Aufenthalts, des Ortes ihrer Geschäftsleitung oder eines anderen ähnlichen Merkmals steuerpflichtig ist, und umfasst auch diesen Staat und seine Gebietskörperschaften[1] . Der Ausdruck umfasst jedoch nicht eine Person, die in diesem Staat nur mit Einkünften aus Quellen in diesem Staat oder mit in diesem Staat gelegenem Vermögen steuerpflichtig ist.
(2) Ist nach Absatz 1 eine natürliche Person in beiden Vertragsstaaten ansässig, so gilt Folgendes:
· a)Die Person gilt als nur in dem Staat ansässig, in dem sie über eine ständige Wohnstätte verfügt; verfügt sie in beiden Staaten über eine ständige Wohnstätte, so gilt sie als nur in dem Staat ansässig, zu dem sie die engeren persönlichen und wirtschaftlichen Beziehungen hat (Mittelpunkt der Lebensinteressen);
· b)kann nicht bestimmt werden, in welchem Staat die Person den Mittelpunkt ihrer Lebensinteressen hat, oder verfügt sie in keinem der Staaten über eine ständige Wohnstätte, so gilt sie als nur in dem Staat ansässig, in dem sie ihren gewöhnlichen Aufenthalt hat;
· c)hat die Person ihren gewöhnlichen Aufenthalt in beiden Staaten oder in keinem der Staaten, so gilt sie als nur in dem Staat ansässig, dessen Staatsangehöriger sie ist;
· d)ist die Person Staatsangehöriger beider Staaten oder keines der Staaten, so regeln die zuständigen Behörden der Vertragsstaaten die Frage in gegenseitigem Einvernehmen.
In (2a) kommt der springende Punkt:
Verfügt eine Person in beiden Vertragsstaaten über eine Wohnstätte, so gilt sie als nur in dem Staat ansässig, zu dem sie die engeren persönlichen und wirtschaftlichen Beziehungen hat (Mittelpunkt der Lebensinteressen).
Somit ist die Frage eine Ermessenfrage und sehr von den persönlichen Verhältnissen abhängig:
Eine Person, die Ihre Familie, Freunde, Verwandte, Vereine, Wohneigentum etc. in Frankreich in der Grenzone hat, kann sicher leicht nachweisen, dort ansässig zu sein in diesem Sinne.
Eine Person, die vielleicht in Miete alleine in Frankreich lebt und dort „nur zum Schlafen“ ist, bei dem der der Rest der Familie aber in Deutschland wohnt, wird das schwer können.
Unter (2c) kommt ein sehr gefährlicher Punkt: hat die Person ihren gewöhnlichen Aufenthalt in beiden Staaten [..], so gilt sie als nur in dem Staat ansässig, dessen Staatsangehöriger sie ist. Hier öffnet sich für die deutschen Steuerbehörden, die ja ein berechtigtes Interesse haben, die Steuereinnahmen auf ihrer Seite zu verbuchen, eine große Tür: Bestehen Zweifel an der Ansässigkeit, kann die Staatsbürgerschaft herangezogen werden. Ich denke, dass die meisten Grenzgänger nach wie vor die deutsche Staatsbürgerschaft haben, so dass die Argumentation hier greifen kann.
Einschlägige Quellen sehen die Problematik ähnlich:
http://www.lexsoft.de/cgi-bin/lexsoft/tk_sec.cgi?templateID=vollbild&xid=3426054http://www.haufe.de/finance/finance-office-professional/internationales-steuerrecht-11-abkommensberechtigung-und-ansaessigkeit_idesk_PI11525_HI2692464.htmlAuch das oben unter C) genannte Schreiben des Bundesfinanzministerium vom November 2014 (noch gar nicht so alt), schreibt deutlich:
1.2.1 Bestimmung der Ansässigkeit - Art. 4 OECD-MA
6 Für die Anwendung eines DBA ist der Staat zu bestimmen, in dem der Arbeitnehmer und ggf. der Arbeitgeber entsprechend Art. 1 i. V. m. Art. 4 OECD-MA ansässig sind. Der abkommensrechtliche Begriff der Ansässigkeit entspricht nicht dem im innerstaatlichen Recht verwendeten Begriff der unbeschränkten Steuerpflicht.
und
9 Ist die Person nach Art. 4 Abs. 1 Satz 1 OECD-MA in beiden Vertragsstaaten ansässig (sog. doppelte Ansässigkeit), ist nach der in Art. 4 Abs. 2 OECD-MA festgelegten Prüfungsreihenfolge festzustellen, in welchem Vertragsstaat die Person als ansässig gilt. Verfügt die Person nur in einem Staat über eine ständige Wohnstätte, so gilt sie als nur in diesem Staat ansässig. Unter einer ständigen Wohnstätte sind Räumlichkeiten zu verstehen, die nach Art und Einrichtung zum Wohnen geeignet sind, die ständig genutzt werden können und die tatsächlich regelmäßig genutzt werden. Es handelt sich um eine in den allgemeinen Lebensrhythmus der Person einbezogene Anlaufstelle (s. BFH-Urteile vom 23. Oktober 1985, BStBl 1986 II S. 133, vom 16. Dezember 1998, BStBl 1999 II S. 207 und vom 5. Juni 2007, BStBl II S. 812). Verfügt die Person in beiden Staaten über eine ständige Wohnstätte, so gilt sie als nur in dem Staat ansässig, zu dem sie die engeren persönlichen und wirtschaftlichenBeziehungen hat (Mittelpunkt der Lebensinteressen). Dabei sind ihre familiären und gesellschaftlichen Beziehungen, ihre berufliche, politische, kulturelle und sonstige Tätigkeit, der Ort ihrer Geschäftstätigkeit, der Ort, von wo aus sie ihr Vermögen verwaltet, und Ähnliches zu berücksichtigen. Die Umstände sind als Ganzes zu prüfen. Lässt sich die Ansässigkeit nach diesen Kriterien nicht bestimmen, sind als Hilfsmerkmale zunächst der gewöhnliche Aufenthalt und danach die Staatsangehörigkeit heranzuziehen. Kann die Ansässigkeit auch nach dem letztgenannten Kriterium nicht bestimmt werden, weil die Person Staatsangehöriger beider Staaten oder keines der Staaten ist, regeln die betreffenden Staaten die Frage in gegenseitigem Einvernehmen nach Art. 25 OECD-MA (s. Tz. 10).
Es gibt also klare Vorgaben, wie die Ansässigkeit zu prüfen ist!
Ein sehr schöner Aufsatz eines Rechtsanwaltes bringt es auf den Punkt:
http://www.reichert-reichert.de/files/reichert/Download%20PDF/Veroeffentlichenungen/reichert_perwein_PIStB-07-14.pdfLeider hat der Bundesfinanzhof bisher eine solche Fragestellung nicht höchstrichterlich entscheiden müssen.
Zusammenfassung:Ob bei einem weiteren Wohnsitz in Deutschland auch eine Einkommensteuerpflicht in Deutschland entsteht, hängt von der Frage der Ansässigkeit ab. Die Ansässigkeit definiert sich nach dem „Lebensmittelpunkt“, nicht nach der Zeitdauer des Aufenthalts oder der melderechtlichen Anmeldung oder der Tatsache der Steuerpflichtigkeit in einem Land aufgrund Einkommen nur aus Quellen aus diesem Land. Diese Frage kann nur individuell aufgrund der Lebenssituation des Einzelnen beurteilt werden. Es kann auch eine Ansässigkeit in einem Land abgeleitet werden, in dem man keinen Wohnsitz angemeldet hat!
Wenn jemand vor hat, eine weitere Wohnstätte in Deutschland zu nehmen, dann sollte er sehr genau prüfen, ob daraus eine Ansässigkeit geschlossen werden kann und in jedem Fall vorher eine schriftliche Zusage des deutschen Finanzamtes einholen, dass die Wohnstätte in Deutschland nicht als Ansässigkeit gesehen wird und somit keine Steuerpflicht in Deutschland nach sich zieht.
Wünschenswert wäre hier wirklich ein Urteil des BFH oder eine klarere Formulierung zur Ansässigkeit in den Gesetzen und Abkommen. Die derzeitige Rechtslage zeigt einen sehr großen Ermessensspielraum der Behörden, der zum Nachteil des Steuerpflichtigen ausgelegt werden kann.