URHEBERRECHT
Frankreich will Raubkopierern das Internet sperren (Spiegel 26.11.2007)
Von Konrad Lischka
Neue Strategie der Musik- und Filmkonzerne: Internetprovider sollen überwachen, wer illegal Kopien zieht. Frankreich bekommt eine Behörde, die ertappten Copyright-Sündern das Netz abklemmt und der deutsche Bundesrat will Konzernen mit Späh-Protokollen aus der Vorratsspeicherung helfen.
Wenn ein Franzose zu viele Daten aus dem Internet saugt oder hochlädt, kommt er unter besondere Beobachtung: Internetprovider sollen auffällige Kunden einer neuen Behörde melden. Die überprüft, ob die Intensiv-Surfer Raubkopien tauschen. Entdeckt die Urheberrechtsaufsicht solches Material, bekommt der Nutzer eine Warnung per E-Mail. Und wenn jemand zum dritten Mal erwischt wird, klemmt der Internetprovider den Zugang ab.
Netzwerkkabel: Wer in Frankreich dreimal Raubkopien aus dem Web zieht, wird vom Netz abgeklemmt - so der Plan von Präsident Sarkozy
So will Präsident Nicolas Sarkozy in Zukunft die Urheberrechte im französischen Internet schützen. Im nächsten Jahr soll die Urheberrechtsaufsicht gegründet werden, das Parlament soll bis zum Sommer über entsprechende Gesetzesänderungen abstimmen. Sarkozy sagte am Freitag bei der Unterzeichnung eines Abkommens zwischen Staat und Interessengruppen (Provider, Rechteinhaber) im Elysée-Palast, das Internet dürfe nicht zu einem "Wilden Westen" werden, es drohe die "Zerstörung der Kultur".
Französische Verbraucherschützer kritisieren das Gesetz. Der Verband "UFC-Que Choisir" bezeichnete die Pläne gegenüber der Online-Ausgabe des französischen IT-Fachmagazins "01 Informatique" als "repressiv", die Regierung schütze eine "sehr konzentrierte und kaum innovative Industrie".
Wenn das Gesetz vorliegt, wird womöglich das Verfassungsgericht entscheiden müssen, ob es in Kraft tritt. Zwei Abgeordnete von Sarkozys UMP bezweifelten schon jetzt öffentlich, dass das geplante Gesetz mit der Verfassung übereinstimmt. Marc Le Fur und Alain Suguenot missbilligen, dass eine Behörde quasi-richterliche Macht erhalten soll. Das würde dem Grundsatz der "Gleichheit vor dem Gesetz" widersprechen.
Die Interessenverbände der Musik- und Filmkonzerne feiern das Abkommen und die geplanten Gesetzesänderungen. Der Geschäftsführer des internationalen Verbands der Musikindustrie IFPI John Kennedy erklärte, das sei "der bislang wichtigste Schritt, um den Krieg gegen Onlinepiraterie zu gewinnen."
Zum ersten Mal setzt ein Staat die neue Strategie der Musik- und Filmkonzerne um. Nachdem die Interessenverbände mit ihren Klagen und abschreckenden Schadensersatzforderungen gegen einzelne Tauschbörsennutzer weniger Erfolg hatten als erhofft, wollen sie nun die Internetprovider in die Pflicht nehmen. Die sollen nicht mehr wie bisher scheinbar neutral Daten durchleiten, sondern prüfen, welche Internetangebote ihre Kunden nutzen.
Copyright-Lobby nimmt Provider in die Pflicht
Im aktuellen IFPI-Jahresbericht ( PDF-Dokument) schreibt John Kennedy, Verfahren gegen einzelne Downloader seien "mühselig und teuer". Der Job sollte "von den Torhütern des Webs erledigt werden, den Internetprovidern, die zweifelsohne die technischen Möglichkeiten hätten, Urheberrechte umzusetzen, wenn sie ihre Verantwortung wahrnehmen würden."
In Frankreich ist das offenbar geschehen: "01 Informatique" berichtete schon im Oktober von einer Übereinkunft zwischen dem französischen Provider-Verband AFA und der von Präsident Sarkozy eingesetzten Kommission zur Bekämpfung der Internetpiraterie.
Provider verlieren Neutralitätsbonus
Auch in anderen europäischen Staaten bröckelt langsam der Grundsatz der Provider-Neutralität: In Schweden betonte im Sommer ein vom Justizministerium in Auftrag gegebener Bericht die Verantwortung der Internetprovider. Die Autorin, Richterin Cecilia Renfors, rät, Provider per Gesetz zu verpflichten, gegen Kunden vorzugehen, die in Internet-Tauschbörsen Raubkopien anbieten und laden.
Im Juli hat ein belgisches Gericht entschieden, dass der Internetprovider Scarlet technische Maßnahmen ergreifen kann und bis Januar umsetzen muss, um Up- und Download urheberrechtlich geschützter Inhalte zu unterbinden. Denkbar wäre es zum Beispiel, Webseiten sogenannter Torrentracker zu sperren, Adressverzeichnissen für Downloads gewissermaßen.
FILTERTECHNIK: SO KÖNNEN PROVIDER WEBSEITEN BLOCKIEREN
Name-Server-Sperre
Prinzip: Die als Buchstabenfolge im Browser eingetippten Web-Adressen (URL) müssen in eine bestimmte Zahlenfolge, die sogenannte IP-Adresse umgewandelt werden, um über das Internet Inhalte von den entsprechenden Angeboten zu empfangen. Welche IP-Adressen aktuell zu welchen URLs gehören, speichern sogenannte Name-Server - IP-Adressverzeichnisse, vergleichbar mit einem Telefonbuch. In der Regel hat jeder Internetprovider eigene Name-Server für seine Kunden. Hier könnte er zum Beispiel der Adresse Youporn.com eine falsche IP-Adresse zuordnen, die zum Beispiel auf eine Website mit Informationen über die Sperre verweist.
Problem: "Diese Sperre ist sehr einfach zu umgehen", sagt der Informatiker Stefan Köpsell, Entwickler des Anonymisierungsdienstes JAP. Denn die Nutzer können selbst einstellen, welche Name-Server ihr Computer nutzt. Außerdem gibt es kostenlose Web-Angebote, die eine URL in eine IP-Adresse umwandeln. Um effektiv zu sperren, müsste der Provider also auch den Datenverkehr seiner Kunden zu anderen Name-Servern und entsprechenden Aufschlüsselungs-Internetseiten blockieren.
Sperre auf IP-Ebene
Prinzip: Der Provider kann auch direkt die jeweils gültige IP-Adresse hinter der zu blockierenden URL sperren.
Problem: Hinter einer IP-Adresse können mehrere Tausend URLs liegen. In solchen Fällen führt die IP-Adresse zu dem Server eines großen Anbieters von Web-Speicherplatz. Der Anbieter verteilt den gesamten Verkehr selbst auf die Angebote, die er bereithält. Wenn der Provider solch eine Massen-IP-Adresse sperrt, ist der Kollateralschaden unter Umständen enorm. "Neben dem eigentlichen Ziel könnten viele völlig harmlose Angebote gesperrt sein", erklärt der Dresdner Informatiker Stefan Köpsell. Außerdem lässt sich auch diese Sperre auf Transportebene umgehen: Das ermöglichen offene Proxys, über die man Datenverkehr leiten kann, oder auch Anonymisierungs-Dienste wie TOR oder JAP.
Sperre auf URL-Ebene
Prinzip: Um auf dieser Ebene zu filtern, muss der Provider den Datenverkehr seiner Nutzer tiefgehend analysieren. Mit viel Aufwand lässt sich herausfinden, an welche Web-Adresse eine Anfrage geht. So könnten Kollateralschäden vermieden werden: Selbst bei identischen IP-Adressen kann der Provider bei diesem Ansatz unterscheiden, welche Angebote aufgerufen werden.
Probleme: Diese Filtermethode benötigt sehr hohe Rechenkapazitäten zur Analyse des Datenverkehrs. Die Folge laut Stefan Köpsell: hohe Kosten, bisweilen langsamere Verbindungen. Abgesehen davon könnten solche Analysen in Deutschland auch juristisch heikel sein: Das Fernmeldegeheimnis könnte eine solch intensive Analyse der Internetnutzung verbieten.
Hybrid-Filter
Prinzip: Dieses System kombiniert Filter auf IP- und URL-Ebene. Ein verdächtiger IP-Bereich ist vorab definiert. Erst wenn Nutzer Daten aus diesem Adressbereich abrufen, läuft die aufwendige Analyse des Datenverkehrs an. Sie durchsucht die Anfragen auf blockierte URLs. Folge: Der Rechenaufwand ist geringer als bei der Sperre auf URL-Ebene, die Kollateralschäden nicht so groß wie bei der Blockade von IP-Adressen.
Probleme: Das Verfahren ist recht aufwendig, außerdem könnte die Detailanalyse des Datenverkehrs deutschen Datenschutz-Grundsätzen widersprechen.
In Deutschland kämpfen mehrere Provider in einem vergleichbaren Fall - der Sperrung des Porno-Portals Youporn - vor mehreren Gerichten erbittert gegen eine vergleichbare Grundsatzentscheidung gegen die Provider-Neutralität wie in Belgien.
Die deutschen Provider argumentieren, es sei technisch weder machbar noch zumutbar, einzelne Webangebote für alle Kunden zu sperren. Abschließende Gerichtsentscheidungen in diesen Fällen stehen noch aus. Und eine Urheberrechtsaufsicht wie in Frankreich ist nicht geplant.
Vorratsspeicherung soll Copyright-Inhabern helfen
Aber vielleicht ist die auch gar nicht notwendig: Der Gesetzgeber könnte die Internetprovider über einen Umweg zu Erfüllungsgehilfen der Musik- und Filmkonzerne machen. Vor zwei Wochen hat der Bundestag die sogenannte Vorratsdatenspeicherung beschlossen. Einmal in Kraft, wird das Gesetz deutsche Internetprovider verpflichten, sechs Monate lang zu speichern, wer wann, von wo und mit welchen Adressen im Netz Daten ausgetauscht hat.
Der Bundesrat drängt darauf, dass in das Gesetz noch aufgenommen wird, dass auch Rechteinhaber die Verbindungsprotokolle nutzen dürfen, um Raubkopierer zu verfolgen. Am kommenden Freitag dürften die Länderchefs entschließen, dass der Bundestag den Film- und Musikverlagen erlauben soll, sich an diesen Daten zu bedienen - ohne dass ein Richter entscheiden muss.
Zwingen können die Länder den Bundestag aber nicht zu dieser Verschärfung - das Schnüffel-Gesetz ist nicht zustimmungspflichtig. Allerdings ist im Bundestag ohnehin noch das Gesetz zur sogenannten "besseren Durchsetzung von Rechten des geistigen Eigentums" in Arbeit . Und darin ist - zumindest im Regierungsentwurf - ein Auskunftsanspruch für Rechteinhaber gegenüber Providern vorgesehen.