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Autor Thema: Frankreich: Wie unser Lieblingsnachbar tickt (aus: Focus, 13.7.10) - Teil 1  (Gelesen 2764 mal)

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Frankreich: Wie unser Lieblingsnachbar tickt (aus: Focus, 13.7.10) - WAS ZUM SCHMUNZELN
(*Le Fettnapf – Wie ich lernte, mich in Frankreich nicht zum Horst zu machen, Tanja Kuchenbecker, Rowohlt Taschenbuch Verlag, 8,95 Euro, erscheint am 2.8.2010)

Unpünktlich, aber bisweilen diszipliniert, elegant, aber immer lässig: Obwohl Frankreich unser Nachbar ist, trennen uns manchmal Welten.
Leben wie Gott in Frankreich? Auch das will gelernt sein. Das Nachbarland gilt für viele Menschen als DAS Land des Genusses. Frankreich als Paradies der Lebenskunst, des gelassenen Umgangs in jeglichen Lebenslagen: „savoir vivre“ eben. Stil, Charme und Eleganz einer Französin versuchen Frauen auf der ganzen Welt zu kopieren. „Was ist nur das Geheimnis der Franzosen?“, fragte sich die deutsche Journalistin Tanja Kuchenbecker bei ihrer Ankunft in Paris vor rund 20 Jahren.
„Wie kann man maßlos essen und dennoch schlank bleiben?“, „Wieso küssen sich manche zweimal, andere viermal zur Begrüßung?“ Und: „Wieso sind Franzosen eigentlich immer unpünktlich?“ Nach vielen Jahren in Frankreichs Hauptstadt kennt Kuchenbecker die Antworten und hat ein Buch darüber geschrieben*. Als Expertin warnt sie vor Fettnäpfchen und beschreibt die kleinen Unterschiede. Deswegen kann sie auch gleich ein Missverständnis ausräumen: Es sind die Deutschen, die gerne von der „Grande Nation“ sprechen, nicht die Franzosen – die nämlich kennen den Begriff gar nicht.

„Ich bin nach vielen Jahren in Frankreich immer noch pünktlich“, sagt Tanja Kuchenbecker. „Franzosen kommen fast immer zu spät, weil sie einfach nicht darüber nachdenken, ob sie zu spät kommen oder nicht. Es hängt auch damit zusammen, wie wichtig etwas für sie ist.“ Vieles erscheint ihnen offensichtlich nicht so wichtig. Die französische Unbekümmertheit spielt hier eine große Rolle. Es ist also völlig sinnlos, sich über die Unpünktlichkeit im Nachbarland zu ärgern.
Hilfreicher ist stattdessen, bei einer Verabredung selbst fünf bis zehn Minuten später zu kommen oder sich etwas als Beschäftigung mitnehmen. Ein Buch, eine Zeitung können einem die Wartezeit vertreiben. Eile hilft in Frankreich nicht viel weiter, Geduld eher: „Attendez, warten Sie, heißt eins der Lieblingsworte beim Arzt oder den Behörden“, so Kuchenbecker. Das gilt auch bei den Ladenöffnungszeiten: „Tant pis“ (egal), sollte man sich sagen, wenn man mal wieder vor verschlossenen Türen steht. Die Uhren ticken in Frankreich eben anders. Pünktlichkeit ist nur etwas für Pedanten.

Konversation à la française: Wortspitzen statt Streit

Französische Konversation will gelernt sein. Für „le grand BlaBla“ (Kuchenbecker) gelten unausgesprochene Regeln. Franzosen haben schließlich zu allem etwas zu sagen: Sie plaudern über die neuesten Filme, die geplanten Skiferien und wer mal wieder wen verlassen hat. Dabei nimmt einem keiner übel, wenn man ihm dazwischenredet: „Gewonnen hat hierzulande, wer beim verbalen Schlagabtausch das letzte Wort hat“, weiß Tanja Kuchenbecker.
Diskretion ist allerdings gefragt, mit der eigenen Meinung über Religion oder Politik sollte sich niemand zu weit aus dem Fenster lehnen. Denn bei allem setzen die Franzosen ihren ganzen Ehrgeiz daran, immer locker zu bleiben und nichts zu ernst zu nehmen. „Wie man es verpackt, darauf kommt es an“, so Kuchenbecker. Streitgespräche sind selten. „Le bon mot“, das passende geistreiche Wort, muss es schon sein. Tabus sind Themen wie Geld und Beruf. Sex dagegen ist immer präsent. Was Franzosen zudem im Gespräch auch nicht schätzen: zu viel über Kinder langweilt französische Frauen schnell, Besserwisser sind verhasst. Aber merke: Franzosen haben immer Recht.

Die perfekte „bise“: Küsschen hin, Küsschen her


Das französische Begrüßungsritual ist eine Wissenschaft für sich. Dabei gibt es feine Differenzen in Bezug auf Nähe, Distanz und lokale Herkunft: In Frankreich wird unterschiedlich oft geküsst, dass heißt, in Paris küsst man sich zweimal, auf dem Land dreimal und im Süden sogar bis zu viermal. Wer sich unsicher ist, wartet am besten, bis der andere auf ihn zukommt, denn man küsst ja nicht jeden. In vertrauten Kreisen wie etwa auf einem Fest küssen sich die Frauen, die Männer reichen sich die Hand.

Schwierig auch: Bei welcher Backe fängt man an? „Meist küsst die rechte Wange die rechte des Gegenübers“, rät Tanja Kuchenbecker. Wer ganz diskret ist, küsst „aneinander vorbei“, unter Vertrauten kann es auch mal einen richtigen Schmatzer geben. Am Besten ist jedoch ein zarter Kuss, der an die Wange gehaucht wird. Kuchenbecker: „Die Bise ist ein Ritual, eine Formalie.“

Auf die französische Art: zum Beispiel Wohnungssuche

Bei der Suche nach einer Wohnung wird schnell klar, dass in Frankreich die Dinge ein wenig anders laufen. „Die französische Bürokratie zeigt sich schon hier: Wer eine Wohnung sucht, braucht ein Bankkonto. Wer aber ein Konto eröffnen will, braucht eine feste Bleibe“, erklärt Frankreich-Kennerin Kuchenbecker. Und die in Paris zu finden, ist gar nicht so einfach. Erschwerend kommt hinzu, wenn man kein Franzose ist, denn: „Wer traut schon einem ausländischen Gehaltszettel?“ Mietwohnungen sind bekanntlich in Paris nicht ganz billig, und bei jeder Besichtigung steht in der Regel eine lange Schlange vor der Tür.
Wer bei der Mietbewerbung leer ausgeht, erfährt nicht selten hinterher, dass jemand anders einfach sein Scheckheft gezückt hat und locker sechs Monate Miete im Voraus bezahlt hat – Wohnung mieten à la française.
...nur fledermäuse lassen sich hängen...